Die Psychologin Riekje Stokes (Stokes Verhoor Strategie) arbeitet als Trainerin und Beraterin für verhaltensorientierte Befragung bei der niederländischen Polizei und bei Versicherungsgesellschaften. Dabei versucht sie zu vermitteln, was sie „Ermittlungskommunikation“ nennt. Sie war Rednerin bei den FRAUDtalks 2016.
Was hat das „Spieglein, Spieglein an der Wand“ von Schneewittchen mit Betrug zu tun? Die Verbindung liegt darin, dass die Antwort des Spiegels uns Einblicke in die Beweggründe, die Motivation des Betrügers ermöglicht. Der vergiftete Apfel ist nicht das Verbrechen, sondern lediglich ein Mittel, die „Schönste im ganzen Land“ zu bleiben.
Bei Betrugsfällen ist es genauso. Gleichwohl spielen die Motive von Betrügern bei der Befragung bisher meist keine große Rolle. Man könnte natürlich denken: „Es geht doch immer um das Geld, oder nicht?“ Aber stimmt das wirklich? Jeder hat seine eigenen Motive. Diese lassen sich in drei verschiedene Kategorien einteilen: Wohlgefallen, Prestige und – in der Tat – Geld.
Wäre es nicht toll, wenn man bei der Befragung das Ringen um Fakten gleich beiseitelassen und den direkten Weg über das Motiv nehmen könnte? Zusammen mit dem Betrüger als Experte in eigener Sache? So kann man gleich zur Sache kommen, ohne den Kunden vor den Kopf zu stoßen. Bei dieser Methode werden durch Motivation während der Befragung zusätzliche Chancen eröffnet, statt sich nur an Informationen über Fakten entlangzuhangeln.
Wohlgefallen, Prestige, Geld
Nehmen wir als Beispiel die Befragung eines betrügerischen Kunden, der zu Beginn des Interviews seufzt: „Mein größtes Problem ist, dass ich einfach nicht Nein sagen kann.“ Am Ende kam heraus, dass genau dies der Grund dafür war, dass er immer wieder Unterschriften fälschte, nicht nur zu seinem eigenen Vorteil, sondern auch, damit sein Versicherungsagent seinen Job behalten konnte. Es wäre doch schade, so einen Wink mit dem Zaunpfahl, der ein mögliches Motiv offenbaren kann, zu ignorieren!
Oder betrachten wir folgenden Fall: Sie führen ein Gespräch mit einem Manager, dem Integritätsbruch vorgeworfen wird. Oder, besser gesagt: Der Manager führt das Interview mit Ihnen, denn er gibt die Regeln gerne selber vor. Mit vielen Worten erläutert er, wie wichtig ihm Integrität sei, und wie er seine Mitarbeiter auf dieser Grundlage auswähle und führe. Und Sie denken dabei: „Wie kann ich das Gespräch auf meinen Fall lenken?“ Tatsächlich jedoch sind Sie bereits mittendrin: Interessanterweise ist es ja gerade die Integrität, die zu diesem Interview geführt hat.
Oder betrachten wir als weiteres Beispiel die Befragung eines „aufstrebenden“ Brandstifters: Es begann mit dem Anzünden eines Papierkorbs, dann eines Müllcontainer, dann eines direkt neben einem leeren Gebäude stehenden Müllcontainers, und schließlich setzte er ein Einfamilienhaus samt Bewohnern und Tieren in Brand. Aber ein Pyromane sei er nicht – das weist er streng von sich. Auf Nachfrage zeigt sich, dass er weiß: Ein Pyromane kehrt stets zum Tatort zurück, und das tut er nie. „Nennen Sie mich einfach einen Brandstifter“, sagt er, und schon ist die Befragung im Gange.
Das Motiv ist im Kopf
Wie erzielen wir auf diesem Weg nun greifbare Ergebnisse? Nutzen Sie die Metapher des Spiegels: Ermöglichen Sie der befragten Person einen Blick auf sich selbst. Das Motiv ist in seinem Kopf, also sollte auch die Frage auf sein Inneres abzielen. Mit anderen Worten: Es sollte um Wahrnehmungen und Themen gehen, die sich auf die Fakten beziehen, um Themen, die eine Verbindung zwischen der betroffenen Person und den möglichen Motiven für die jeweils spezielle Art des Betrugs herstellen.
Fragen Sie innerhalb dieser Themen nach Gefühlen, Erwartungen und/oder Interessen, die in einem Zusammenhang mit dem Betrug stehen können. Nehmen Sie sich mehr Zeit, sich auf die persönlichen Motive zu konzentrieren.
Zuvor jedoch müssen Sie sich über Ihre eigenen Motive im Klaren sein: Was ist Ihr Motiv für die Arbeit, die Sie tun? Warum haben Sie sich für einen bestimmten Autotyp entschieden? Wie entscheiden Sie, ob Sie eine Beziehung eingehen oder beenden möchten? Sie müssen all diese Dinge über sich selbst wissen, um erfolgreich andere befragen zu können.
Mein eigenes Motiv ist, dass ich mit Lügen aufgewachsen bin. So bin ich dazu gekommen, mich beruflich mit der Ermittlung von Tatsachen und der Erforschung von dazu hilfreichen Kommunikationsformen zu beschäftigen. In diesem Feld sehe ich einen großen Bedarf in der Entwicklung und Anwendung von personalisierten Befragungsmethoden, die sich als sehr nützlich erweisen können. Um diesen ungewöhnlichen Ansatz zu verwenden braucht es Können, Willen und Mut.
Halten Sie die Wahrheit fest
Wir müssen uns absolut klar machen, dass die Ermittlung von Tatsachen in einem aus den Punkten „Person“, „Fall“ und „Motive“ gebildeten Dreieck stattfindet. In der Mitte dieses Dreiecks liegt die Wahrheit. Fehlt eine der Ecken, entweicht die Wahrheit – eine verpasste Gelegenheit.
Gehen Sie Hand in Hand mit Ihrem Kunden auf dem direkten Weg zur Wahrheit, statt mit ihm über Fakten und Sachverhalte zu verhandeln. Ermöglichen Sie ihm einen Blick auf sich selbst, damit Selbstreflexion stattfinden kann. Fragen Sie sich nicht nur, wie giftig der Apfel der bösen Stiefmutter aus dem Märchen war, sondern vor allem, warum sie ihn benutzt hat. So können Sie der Sache auf den Grund gehen, eine echte Lösung finden und eine Chance zur Senkung der Rückfallrate nutzen.