Christina Fiscella ist eine unabhängige Ermittlerin, Trainerin und Beraterin, spezialisiert auf Versicherungsuntersuchungen und Schulungen zur Betrugsentdeckung, -prävention und -ermittlung. Sie teilt ihre Erfahrung, dass der Stereotyp vom ehrlichen Senioren mit Vorsicht zu genießen ist. Sie war Rednerin bei den FRAUDtalks 2018 in Amsterdam.
Uns als Gesellschaft wird stets beigebracht, dass ältere Menschen ehrlich und glaubwürdig sind, Leute, die wir respektieren und denen wir Glauben schenken sollten. Wir neigen dazu, sie als verletzlich, krank und schwach zu betrachten. Es käme uns nie in den Sinn, dass sie Versicherungsbetrug begehen könnten. Kein Wunder also, dass die Versicherungswirtschaft die Untersuchung betrügerischer Ansprüche älterer Bürger lange Zeit vernachlässigt hat. Die Dinge sind allerdings nicht immer das, was sie zu sein scheinen. Tatsache ist, dass einige Senioren Versicherungsbetrug begehen und dass sie zur Babyboomer-Generation gehören, also einem geburtenstarken Jahrgang entstammen.
Ein Paradox aus Armut und Anspruch
Die Babyboomer sind fitter und dynamischer als alle vorherigen Generationen. Sie neigen außerdem genauso häufig in ihren Sechzigern, Siebzigern und Achtzigern zum Lügen, Betrügen und Stehlen wie sie es in ihren Zwanzigern, Dreißigern oder Vierzigern getan haben. Die Menschen leben länger, allerdings auch länger als ihr Geld. Viele Babyboomer haben nicht genügend Rücklagen für die Altersvorsorge, sind aber mit steigenden Gesundheitskosten konfrontiert. Hinzu kommen die Nachwirkungen der Finanzkrise von 2008. Da überrascht es nicht, dass die Senioren angesichts ihrer Finanzen verzweifeln.
Paradoxerweise findet diese Generation auch Gefallen am materiellen Reichtum. Babyboomer geben gerne Geld aus. Sie haben ein Anspruchsdenken und wollen auf gewisse Luxusartikel nicht verzichten, egal wie dramatisch ihre finanzielle Situation auch ist. Selbstverständlich begehen nicht alle älteren Menschen Versicherungsbetrug; die Versicherungswirtschaft kann es sich jedoch nicht länger leisten, betrügerische Ansprüche zu ignorieren, nur weil sie von Senioren geltend gemacht werden. Sollten die Unternehmen diese Ansprüche weiterhin ignorieren, könnten sie jährlich mehrere Millionen Dollar verlieren.
Nur ein einfacher Mercedes
Vor einigen Jahren wurde ich gebeten, ein Paar zu überprüfen, das einen 30.000 $ teuren Diamantring als gestohlen gemeldet hatte. Nennen wir sie im folgenden Herrn und Frau G. Sie lebten in einer schönen Nachbarschaft, obwohl ihr Haus von außen deutlich heruntergekommen war. Eine weitere Auffälligkeit war der Mercedes-Benz, der in ihrer Auffahrt stand. Das Interieur ihres Hauses war nicht viel besser. Die Einrichtung sah aus, als stamme sie noch aus dem Jahre 1972 und müsste dringend überholt werden. Sowohl Herrn als auch Frau G. machten schwerwiegende Gesundheitsprobleme zu schaffen; Herr G. saß im Rollstuhl und Frau G. war gerade nur knapp dem Tod entkommen, nachdem bei ihr eine Autoimmunkrankheit festgestellt worden war. Dies war außerdem ihre dritte Forderung, die sie innerhalb von zwei Jahren an Ihre Versicherung gestellt hatte.
Sie hatten kein Geld für die Altersvorsorge gespart und bekamen keine Rente. Frau G. erzählte mir, dass sie von ihren Kreditkarten lebten und eine Umkehrhypothek auf ihr Haus in Anspruch nahmen. Also warum 500 $ im Monat für einen Mercedes-Benz zahlen? Frau G.s Antwort darauf: „Es ist doch nur ein einfacher Mercedes, ohne ausgefallene Innenausstattung.“ Es war eindeutig, dass Herr und Frau G. dringend Geld brauchten, und das erhofften sie sich von ihrer Versicherungsgesellschaft. Bei einem Folgetelefonat stellte sich heraus, dass Herr G. verstorben war. Bei Nachfrage, ob sie den Anspruch noch immer geltend machen wolle, antwortete Frau G.: „Natürlich will ich das. Ich brauche das Geld.“ Letztendlich zog sie die Forderung jedoch zurück.
Diamonds are a girl’s best friend
Nicht jeder Senior, der betrügt, befindet sich in einer finanziellen Notlage. Ein Motiv, das häufig übersehen wird, ist eine Mischung aus Einsamkeit, Langeweile und Isolation. So der Fall bei Gina, einer 65 Jahre alten Frau, die mit einem pensionierten Arzt mit viel Geld und einem schönen Haus verheiratet war.
Gina hatte eine bipolare Störung. Sie hatte keine sozialen Kontakte. Sie hatte ihr ganzes Erwachsenenleben lang nie gearbeitet, stattdessen war sie auf ein Taschengeld von ihrem Mann angewiesen. Gina verbrachte ihre Tage mit dem obsessiven Kaufen von Schmuck. Als ihr Ehemann von dieser Obsession erfuhr, stellte er ihr Taschengeld ein. Das war der Zeitpunkt, an dem Gina anfing, all ihre Versicherungsforderungen einzureichen.
Die ersten beiden Forderungen wurden ohne Hinterfragung ausgezahlt. Mit der dritten Forderung begann die Versicherungsgesellschaft Fragen zu stellen, es gelang ihr jedoch nicht, Kontakt mit Gina aufzunehmen. Ihr Mann behauptete, dass die psychischen Gesundheitsprobleme seiner Frau sie an jeglichem Kontakt mit der Versicherungsgesellschaft gehindert hätten.
Als Gina ihre vierte Forderung einreichte, blieb die Versicherungsgesellschaft beharrlich und beauftragte mich, der Sache nachzugehen. Gina berichtete, dass sie in einen Supermarkt gegangen war, wo sie die Toilette besuchen musste. Sie war allein auf der Toilette. Nach Betreten der Kabine hörte sie plötzlich eine andere Stimme. Gina konnte nicht sagen, ob es die Stimme eines Mannes oder einer Frau war, nur, dass sie ihr Angst machte. Die Stimme befahl ihr, all ihren Schmuck abzunehmen und unter der Tür durchzuschieben, was sie auch tat. Als Gina den Vorfall einem Ladenangestellten meldete, rief dieser sofort die Polizei, die das Überwachungsvideo sicherstellte, in der Hoffnung, den Täter zu identifizieren.
Ich besuchte Gina und ihren Mann und zeigte ihnen das Überwachungsvideo, auf dem zu sehen war, wie Gina die Toilette verließ. Zu diesem Zeitpunkt trug sie jedoch noch all ihren Schmuck. Sie hatte vergessen, ihn abzunehmen, bevor sie dem Angestellten den „Raub“ meldete. Ginas Forderung wurde wegen Betrugs abgelehnt und wir haben nie wieder von ihr gehört.
Verraten von einem Telefon
Ein klassisches Motiv für Betrug ist Gier, wie es bei einer 62-jährigen Frau namens Doris, einer vermögenden pensionierten Ärztin, der Fall war. Doris wohnte ganz allein in einer riesigen Villa.
Sie hatte acht Jahre lang versucht, ihr Haus zu verkaufen, verlangte jedoch das Doppelte vom eigentlichen Marktwert, weshalb sie nie ein Angebot für das Haus bekommen hatte. Bei der Planung, das Haus bei einer Luxusauktion versteigern zu lassen, erhielt Doris ein Versicherungsgutachten. Sie erfuhr, dass sie zwölf Millionen Dollar für ihr Haus und den dazugehörigen Hausrat bekommen könnte.
Drei Tage vor Beginn der Auktion brannte Doris’ Haus nieder, während sie sich drei Stunden entfernt in ihrem Luxusstrandhaus aufhielt. Die Feuerwehrleute versuchten Doris zu kontaktieren, konnten sie jedoch nicht erreichen, also hinterließen sie ihr eine Nachricht. Am nächsten Morgen meldete sie sich endlich zurück. Sie erzählte ihnen, dass sie nicht ans Telefon gegangen war, weil sie den „Nicht-stören-Modus“ aktiviert hatte.
Die Ursachenermittlung ergab, dass es Brandstiftung war. Die Leitung der Alarmanlage wurde absichtlich abgetrennt, um sicherzugehen, dass das Haus vollständig abbrannte. Ich wurde beauftragt, Doris zu befragen. Da niemand ihr Alibi bestätigen konnte, bat ich sie um ihre Telefonprotokolle. Diese bestätigten anfangs, dass sie sich in ihrem Strandhaus aufgehalten hatte. Es fehlte jedoch etwas: die Daten und die Textnachrichten.
Ein vollständiger Datensatz der Aufzeichnungen von der Telefongesellschaft lieferte den schlagenden Beweis. Eine Expertenanalyse der Aufzeichnungen des Mobilfunkmastes ergab, dass Doris sich auf dem Weg von ihrem Strandhaus zurück zu ihrer Villa befand, als das Feuer ausbrach. Sie hatte gehofft, die Ermittler zu täuschen, indem sie den Nicht-stören-Modus ihres Handys aktivierte. Letztendlich kam die Wahrheit ans Licht und Doris’ Forderung wurde abgelehnt.
Versicherung in einer alternden Welt
Diese Geschichten verdeutlichen eine Tendenz, die in der Versicherungswirtschaft zu beobachten ist. Um mit dem Trend einer alternden Weltbevölkerung mithalten zu können, kann es sich die Versicherungswirtschaft nicht länger leisten, auf das Stereotyp des lieben und vertrauenswürdigen älteren Menschen zu vertrauen. Jede Geschichte hat gezeigt, dass Senioren, die betrügen, verschiedene Motive haben, und dass nicht alles so ist, wie es am Anfang schien.